Mauretanien

10.01.2019
Wo ist denn dieses Mauretanien? Herrscht da nicht Krieg?
Wenn man den Seiten der Aussendepartemente der verschiedenen Länder liest, dann steht da nur: Auf keinen Fall dahin gehen, da ist es sehr gefährlich!
Selbst der Lonely Planet hat nur die Reisewarnungen hineinkopiert anstatt selbst zu recherchieren.
Und bloss nicht nachts rausgehen in Nouakchott.


Seltsam, ich fühlte mich in diesem Land genau so sicher wie in Marokko, selbst in Nouakchott kann man problemlos nachts durch die Strassen laufen. Diesem Land wird mit den ganzen Warnungen Unrecht getan. Der Tourismus wird abgewürgt und die Einheimischen versuchen verzweifelt den Tourismus wieder aufzubauen. Dabei hat Mauretanien sehr viel zu bieten. Es ist eine grosse Wüste, ein mit allen Facetten und Formen die die Sahara zu bieten hat. Es ist ein Land der Ursprünglichkeit und der Nomaden.
Und wie kommt es dann, dass ich anstatt im Beduinenzelt auf einem Campingplatz sitze und italienischen Schinken esse und Wein trinke?
Nun dies ist die Geschichte dazu:
Ich hatte in Choum den Zug verlassen und bin nun auf der Strasse. Eine perfekt asphaltierte Strasse. Immerhin. Es bläst der Harmattan mit voller Wucht aus Osten, also direkt von Links. Die Wüste hier ist sehr schön, es gibt Sanddünen, Nomadenhütten, ab und an Dromedare und Akazien. Sand weht als brauner Schleier über die Strasse. Doch so richtig geniessen kann ich diese Landschaft nicht. Dieser verdammte Wind. Ich wollte heute Morgen nicht das Taxi nehmen. Ich will schliesslich alles alleine fahren. Doch nach 35km gebe ich auf und versuche einen Lastwagen anzuhalten. Schliesslich hält einer an, er transportiert Ziegen. Die erste Frage des Fahrers; Combien tu paie? Wieviel bezahl ich? Hundert Ouguiya (25cent.) Er will mehr schliesslich halte ich ihm eine 5 Euro Note hin. Das ist mehr als ich mit dem Taxi bezahlen würde. Ich muss ein paar Mal nachfragen, als er mir einen Preis nennt. Spinne ich oder will der wirklich 100 Euro? Ja will er. Hau ab du Wixer! Sind hier wirklich alle so?

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Egal dann fahre ich eben weiter. Ab und an stehen Hütten neben der Strasse, gemacht aus Ästen und Stoffen und Wellblech. Dann kommen die Kinder auf mich zu gerannt. Cadeau, Cadeau, Donnez moi Cadeau. Beim ersten Mal halte ich noch an und sage Hallo, vielleicht laden sie mich ja ein. Das war ein Fehler. Sie versuchen mir Sachen aus den Taschen zu ziehen uns sogar die Satteltaschen zu öffnen. Schnell weg hier. Warum wollen alle Geld und Sachen von mir? Ich bin doch nur ein Reisender, ein Nomade wie sie auch?
Meine Wasservorräte gehen zur Neige und wieder bei einigen Hütten halte ich und frage nach Wasser. Es sind einige Kinder da, drei Junge Frauen, ein junger Mann, der sehr freundlich ist und ein alter Mann. Die Kinder und die Frauen wollen Cadeaus, der junge Mann lädt mich in die Hütte ein. Dann will ich die Hand dem alten Mann geben. Er streckt sie dem jungen Mann hin. Hä? Nochmals. Er begrüsst nochmals den jungen Mann neben ihm. Ach so der scheint blind zu sein. Nach einem Cadeau kann er trotzdem fragen. Ich setze mich in die Hütte auf den Boden und bekomme Kamelmolke zu trinken. Genau das richtige jetzt. Sie fragen mich nach Cadeau und nach Medikamenten. Ich sage ihnen sie sollen mit ihrem Opa ins Krankenhaus fahren. Der alte hört auch nicht auf mich nach Cadeau zu fragen. Monsieur, ou est mon Cadeau? Monsieur, Monsieur.
Ich unterhalte mich mit der Familie, der alte fragt immer noch. Die drei jungen Frauen fragen mich, ob ich sie nicht heiraten will. Nein, Nein, ich reise zu viel. Wirklich nicht? Nein? Du kannst alle drei haben sagen sie.
Monsieur, ou est mon Cadeau? Alter, Geduld. Der junge Mann signalisiert mir, das der Alte einen an der Waffel hat, und seine Schwestern auch… Definitiv ja. Ich gebe der Familie ein paar Schmerzmittel, nicht zu viel und meine fünf Euro Note. Schliesslich haben sie mir gerade eben eine Schüssel Reis mit ein paar Streifen Trockenfleisch hingestellt. Mit der Hand formen sie Ballen, die sie dann so essen.
Der Alte fragt immer noch. Junge, Junge wie kann man so dermassen auf den Sack gehen.

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Plötzlich rennen alle nach draussen. Ein paar Trucks fahren vorbei und sie wollen sie anhalten. Einer hält auch tatsächlich und dann nehmen sie den Opa mit und betteln. Ich bleibe alleine in der Hütte für einen Moment. Der Truck fährt weiter und ich bin bei meinem Fahrrad. Die Frauen fragen mich nach einem Cadeau, meine letzten Kugelschreiber sind jetzt auch weg, und Nein, die Schuhe brauche ich selber. Immerhin eine der Frauen sagt noch Danke. Ein zweiter Truck fährt ran und ich nutze den Tumult und fahre davon. Der Alte hält noch meinen Lenker fest, aber ich kann mich befreien und fahre los. Puh, hoffe das geht nicht so weiter. Aber immerhin habe ich einen vollen Bauch und wieder Wasser.
Ich komme in ein Tal, hier stehen Nomadenzelte und Pick-ups parken davor. Etwas weiter schlage ich mein Zelt etwas abseits von der Strasse neben einer Schirmakazie auf. Was für eine herrliche Landschaft.

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Am nächsten Tag geht es dann durch Palmenoasen nach Atar. In jedem Dorf betteln mich die die Frauen und Kinder nach Cadeaus an. Als ob ich jedem etwas geben müsste. Zum Glück habe ich nichts mehr was ich noch weg geben könnte und Geld gebe ich sowieso nie.
Atar schliesslich ist tiefstes Afrika. Das chaotische Afrika.
Da fahren noch Autos rum, die nur noch von Kabelbindern zusammengehalten werden, da liegt Müll rum und Ziegen streunen herum. Dass es haufenweise Läden gibt, die ausgebaute Autoteile verkaufen, erzählt auch eine eigene Geschichte.

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Ich lande schliesslich auf einem Campingplatz, nicht weit vom Zentrum. Dort treffe ich Inga und Ken, meine Backpackerfreunde vom Zug wieder.
Da ist auch eine Gruppe Italiener mit ihren Motocross Bike. Sie interessieren sich sehr für mich und mein Bike und laden mich zum Abendessen ein.
Ich staune nicht schlecht, als abends im Pavillonzelt das Essen angerichtet wird. Schinken aus der Toskana, Salami, Wein, Essiggemüse und so weiter, dazu frisches Baguette, was die Mauren hier sehr gut beherrschen. Ich schaue auf die Kisten, die herum stehen. Alle vollgepackt mit den tollsten italienischen Spezialitäten. Dann gibt’s auch noch Pasta und es wird ein lustiger Abend. Manche sprechen English, manche Französisch. Ich will am nächsten Tag nach Chinguetti, weiss aber dass das mit dem Fahrrad sehr schwer ist. Zum Glück laden mich die Italiener ein am nächsten Tag mit dem 4x4 dorthin mitzufahren. Wieder mal Schwein gehabt.

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Am frühen Morgen geht es los. Alles möglich wird auf drei Pickups aufgeladen, 4 Bikes und ein Quad fahren mit. Wir fahren die Strasse nach Chinguetti hoch, verlassen diese aber dann und fahren auf einer Piste Richtung Adrar Tal. Ich sehe ein paar Nomaden mit vielen Dromedaren in der Ferne, ich würde gerne anhalten zum Fotografieren, aber wir müssen bei der Gruppe bleiben.
Schliesslich sind wir dann an einem Punkt über dem Adrartal, von dem aus man eine schöne Aussicht auf die Wüste hat. Hier ist ein Campingplatz, mitten im Nirgendwo, Ein Zelt wo eine Frau versucht ihren Krimskrams zu verkaufen.


Plötzlich erscheint die Dromedar Herde und ein Nomade mit vier Lastdromedaren kommt zu uns. Perfektes Fotomotiv. Die Dromedare haben Angst vor den Motorrädern und sie wollen hinunter ins Tal. Also stellen wir sie beiseite und dann passieren die hundert Dromedare, geführt von mehreren Nomaden, die ihre eigenen Lastdromedare hinter sich herziehen. Was für ein Schauspiel.

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Danach geht es weiter durch Pisten, über Sand, vorbei an Dörfern und Oasen. Mittags erreichen wir dann Chinguetti. Eine Lehmhüttenstadt, gebaut auf Sand und Karawanenknotenpunkt zwischen Guelmim (45Tage mit Kamel) und Timbuktu (35Tage mit Kamel). Um den Dorfbewohnern zu entgehen die einem allerlei Krimskrams verkaufen wollen, gibt’s Mittagessen ein wenig ausserhalb unter Palmen. Mitten im Sand. In langen Reihen wurden Palmwedel in den Sand gesteckt, um den Sand davon abzuhalten die ganze Stadt zu verschlucken.
Wir essen Bohnen mit Thunfisch und Baguette. Ausser dem Brot kommt alles aus Italien.
In Chinguetti besichtigen wir noch eine Bibliothek/Museum. Nein kein modernes Gebäude mit Schaukästen. Ein Lehmhaus mit der Decke aus Palmbalken und Palmwedeln.
Auf einem einfachen Tischchen liegen mehrere Bücher und Dokumente. Korane und Schriften, noch auf Pergament geschrieben und teilweise über 800 Jahre alt. Wie Das Haus in dem wir sind.
Der Hausherr kommt aus einer langen Ahnenreihe. In den Familien der Gelehrten war immer einer, der schrieb, einer der Reiste um neue Schriften zu finden, zu kaufen und zu kopieren und einer um sie zu bewahren. Doch heute ist es mehr eine Art Beruf geworden. Leider tut die Regierung nichts für dieses Erbe und so liegt es in den Händen der 14 Familien von Chinguetti diese Dinge in ihren Häusern zu bewahren.

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Wieder zurück auf dem Campingplatz bin ich wieder bei den Italienern eingeladen. Ich revanchiere mich mit den Fotos die ich gemacht habe, einige sehr gute von den Motorrädern sind darunter.
Eigentlich wollte ich morgen aufbrechen, doch als sie mir von der geplanten morgigen Route erzählen kann ich nicht anders als zu fragen ob ich mit darf. Mit Freude sagen sie ja. Offenbar sind nicht nur meine Fotos beliebt.

 

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Sie wollen mit dem Zelt für zwei Tage in die Wüste, zu einer bestimmten Stelle. Dort, mitten in der Wüste, führte einst die Rallye Paris Dakar hindurch und dort liegt die Todesstelle Ihres besten Freundes. Fabrizio Meone war zweifacher Sieger der Rally, als er dort 2005 starb. Er muss ein grossartiger Mann gewesen sein, dass seine Freunde extra dorthin fahren und als sie mir von ihm erzählen, haben alle Tränen in den Augen.
So geht es dann am nächsten Tag in die Wüste. Wir fahren über Pisten, Sand Geröll und Steine. Jetzt erst wird mir klar warum 4x4 so schlecht im Einschätzen von Strassen sind. Sie fliegen über Unebenheiten, die mir mit dem Fahrrad schon den Hintern kaputt machen. Es geht über Pisten, wo ich oft denke da geht es nicht weiter, aber unsere Fahrer sind erfahren und auf dem Sand gleiten wir dahin wie ein Schlitten auf Schnee. Die Wüste ändert ständig ihr Gesicht, mal ist es eine grosse leere ebene mit verbrannten Steinen, dann wieder Akazienfelder, mal ist sie buschig, mal sandig. Dann ändert der Sand die Farbe von Weiss nach rot. Hin und wieder kommen wir durch ein Dorf. Mit Palmwedeln gedeckte Rundhütten und Kindern die nach Cadeaus rufen, hier ist Afrika, wie man es sich vorstellt, wenn man das Wort Sahara hört.

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Mittags wieder Bohnen, während unsere drei einheimischen Führer ihren Tee auf dem Holzfeuer zubereiten.
Abends erreichen wir einen Steinhaufen an dem eine Steinplatte lehnt. In Memory of Fabrizio Meone.
Eine gravierte Steinplatte wird befestigt und als die Zelte aufgebaut sind und gegessen wurden, zünden wir noch eine einsame Kerze vor dem Steinhaufen an.
Ich klettere die Sanddüne hinauf, der Sand ist noch warm, als die Sterne längst da sind. Leider gelingen die Sternenbilder nicht. Der Harmattan lässt den ganzen Horizont in einer Handbreiten Staubwolke verschwimmen.
Unsere Führer assen nicht mit uns zu Abend. Sie backen Gallettes au Sablé. Ein Brot aus Mehl, Wasser und Olivenöl, das zwischen Glut im Sand gebacken wird. Interessanterweise bleibt keinerlei Sand daran hängen. Sie brechen kleine Stücke ab und mischen diese mit einem Sud aus Öl, Zucker und lauwarmem Wasser, die sie dann so essen.
Schmeckt nicht schlecht dieses Brot.
Der Wind in der Nacht und am Morgen macht es schwierig die Zelte abzubauen doch gemeinsam geht es dann doch. Dieser verdammte Harmattan hört nie auf. Durch die Wüste geht es zurück. Ich sitze auf dem Beifahrersitz, von wo aus ich versuche Fotos zu schiessen, von der Landschaft, den Bikes, den Menschen. Gar nicht so einfach wenn das Auto, in dem man sitzt Achterbahn fährt.

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Zurück auf dem Campingplatz brauche ich dann ewig, bis ich dann Die Fotos sortiert habe. Macht nichts, ich muss eh ständig auf Toilette, weil ich mir eine Magenverstimmung geholt habe. An Schlafen wäre da nicht zu denken gewesen.
Darum bleibe ich nochmals einen Tag auf dem Campingplatz und nutze die Zeit um einige Reiseberichte nachzuschreiben.
Der Abschied von Inga und Ken und den Italienern fällt mir nicht so leicht. Nicht nur war ich Ihnen ans Herz gewachsen, auch sie waren mir ans Herz gewachsen und ich verspreche Ihnen dass ich die Schule, die Fabrizio in Dakar finanziert hat besuchen werde.
Die Strecke bis Nouakchott ist schnell gefahren, bis auf die letzten 200km gibt es immer wieder Abwechslung in der Landschaft, sogar Kilometerweise grüne Abschnitte, wo Dromedar Herden neben Ziegen grasen. Mit dem Rückenwind ist das gut machbar.
Wasser bekomme ich von den riesigen Wassersäcken, die auf der Erde liegen und so ganze Dörfer versorgt werden. Mein Verbrauch hat sich gegenüber der Westsahara beinahe verdoppelt. Manchmal halten auch Autos und Trucks an und fragen mich ob es mir gut geht und ich genug Wasser habe. Schlafen kann ich bei Leuten, die mich gerne einladen neben Ihnen zu campen.
Einmal nach 120km Fahrt, wollte ich in einer Auberge, die eigentlich nicht mehr als ein paar Lehmhütten und viel Platz waren, mein Zelt aufschlagen. 200 Ouguiya (4Euro) wollte der Besitzer dafür. Dummerweise konnte ich in Atar kein Geld mehr ziehen und stehe jetzt mit nur noch 30 da.
Aber der Besitzer will 200.

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Ich nehme mein Fahrrad, fahre 50 Meter zurück wo zwei junge Männer eine Herde Kamele haben. Die Beiden Nomaden haben ein Zelt aufgestellt und obwohl wir uns kaum verstehen, darf ich mein Zelt neben Ihnen aufschlagen.
Ich kann zusehen, wie sie die Kamele melken und mit meiner Kamera in der Hand halte ich das Ganze fest. Sie lachen, als ich Ihnen die Fotos von Ihnen zeigen. Als es dunkel ist, sitzen wir gemeinsam vor Ihrem Zelt. Alle dreissig Tage ziehen sie weiter. Eine Laterne am Strassenrand weist darauf hin, dass sie hier Kamelmilch verkaufen, die sie dann in Einliter-Plastiksäcke abfüllen. Wir reden nicht sehr viel, ich verstehe ihr arabisch zu schlecht, aber Witze über die schrottigen Autos der Mauren kann man auch so reissen.
Mit stolz geschwellter Brust und breiten Grinsen mache ich die Geräusche und Mimik nach, die ein Maure mit seinem Schrottauto macht. Takatakapängpängquietsch.
Am nächsten Morgen gibt es dann Haferflocken mit Kamelmilch zum Frühstück. Sehr lecker übrigens.
Und ich habe genug Power um noch die letzten hundert Kilometer nach Nouakchott zu fahren.
Meine Meinung über die Mauren hat sich inzwischen geändert. Mag hin und wieder ein geldgieriges Gesicht auftauchen, so ist die Mehrheit der Menschen sehr liebevoll, Hilfsbereit und grosszügig. Und Sobald die Kinder merken, dass es keine Cadeaus gibt werden sie nett und neugierig. Nicht alle aber die Meisten. Wie das kleine Mädchen, das erst nach einem Cadeau fragte und als ich ablehnte fragte sie mich nach meinem Namen. Einfach so, weil sie wissen wollte wer ich war.
Mauretanien ist wirklich noch ein unbekanntes Juwel dass es wert ist entdeckt zu werden.

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